Mit der Intensivierung der Landwirtschaft in den 1960er Jahren verschwanden potentiell giftige Pflanzen nahezu vollständig von Weideflächen und Mähwiesen. Ehemals häufig auftretende, verlustreiche Vergiftungen bei Weidetieren, wie etwa die Seneziose, traten nur noch selten auf.
Als ab Ende der 1980er Jahre EU-weit versucht wurde, dem Überangebot landwirtschaftlicher Produkte mit Flächenstilllegungen zu begegnen, kehrten Acker- und Weide-Unkräuter zurück und eroberten die Brachen. Die Biodiversität nahm zu – unter ökologischen Gesichtspunkten begrüßenswert.
Vergiftungen – wieder auf dem Vormarsch!
Flächenstilllegung als Marktregulator ist längst dem Anbau von Biomasse zur Kraftstoffgewinnung gewichen. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat jedoch dazu geführt, dass viele Grenzertragsflächen bis heute brachliegen. Diese Flächen und die zugehörigen, unrentablen landwirtschaftlichen Betriebe werden vielerorts von Hobbytierhaltern bewirtschaftet, denen es oft an Basiswissen zur Weidepflege und zur Tierhaltung fehlt. Vergiftungen durch Pflanzen treten seitdem aufgrund von Unwissenheit beim Tierhalter und mangelnder Erfahrung beim Weidetier wieder häufiger auf.
Vernachlässigung
Extensivierung bei der Weidebewirtschaftung (reduzierter Besatz, seltener mähen, kein Kunstdünger) wird nicht selten als Sich-selbst-überlassen der Weide missverstanden. Wird eine Fläche jedoch beweidet, wird mangelhafte Weidepflege aufgrund selektiver Beweidung, bei der unangenehm schmeckende Pflanzen gemieden werden, rasch zur Ausbreitung potentiell giftiger Pflanzen führen. Überbesatz führt bei allen Weidetieren, besonders aber bei Pferden mit ihrem tiefen Verbiss und ihrer ausgeprägten Bewegungsfreude zu Lücken in der Grasnarbe. Diese nutzen Giftpflanzen für ihre Ausbreitung. Bei Standweiden kann durch Überbesatz der gesamte Grasbewuchs verschwinden. Werden die von den Tieren gemiedenen Pflanzen nicht durch Mahd an Blüte und Samenreife gehindert, bilden sie von Jahr zu Jahr größere Bestände.
Toxische Opportunisten (s. Abb. 1 - 4)
Auf Halbtrockenrasen, sonnigen Hängen und mageren Wiesen entstehen so z.B. für Jakobskreuzkraut und Zypressenwolfsmilch ideale Wachstumsvoraussetzungen. In feuchten Wiesen finden Herbstzeitlose und Sumpfschachtelhalm günstige Bedingungen. In Waldrandlage nutzt Adlerfarn die Chance, in die Weideflächen einzuwandern.
Alle diese Pflanzen sind hochgradig toxisch und behalten ihre toxischen Eigenschaften auch in Heu und Silage. Hier sind sie sogar besonders gefährlich, da sie sich geruchlich und geschmacklich verändern. Als frische Pflanzen werden sie nur in Notzeiten gefressen.
Schutz vor Intoxikation durch Körperwahrnehmung
Tierhalter sind oft der Ansicht, dass ihre Tiere instinktiv wüssten, was ihnen bekommt und was nicht. Das ist ein Irrtum. Die richtige Wahl wird erlernt und dieser Lernprozess beginnt schon intrauterin. Je mehr Wahlmöglichkeiten das Tier hat, umso sicherer wird seine Entscheidung für gesundheitsverträgliche Pflanzennahrung.
Viele Geruchs- und Geschmacksstoffe gehören zu den potentiell toxischen sekundären Pflanzenstoffen, konzipiert zum Schutz vor Fressfeinden, pathogenen Mikroorganismen, etc. Pflanzenfresser (auch Menschen!) verfügen zum Schutz vor Vergiftungen über eine besondere Sinnesqualität: die Selbst- oder Körperwahrnehmung. Dies ist die kontinuierliche Wahrnehmung des Befindens im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme. Körperwahrnehmung funktioniert über den Gesichts-, Geruchs- und Geschmackssinn und die taktile Wahrnehmung, sowie die Wahrnehmung von Signalen aus dem Körperinneren, wie Unwohlsein, Übelkeit, Enge- und Völlegefühle, Schwäche, Müdigkeit, Schmerzen, etc. Mit Hilfe dieser Wahrnehmungsfähigkeit kommt es zum Lernen am Erfolg (operante Konditionierung).
Sauberweiden lassen provoziert Vergiftungen
Vor diesem Hintergrund ist es fahrlässig, einen Weidewechsel hinauszuzögern, bis auch das „unbeliebte“ Grün abgefressen ist oder Futter erst nachzulegen, wenn der Trog leer ist. Leiden Tiere Hunger, werden sie auch das fressen, was ihnen nicht bekommt und ihre Gesundheit gefährdet.
Zielorgan Leber
Vergiftungen durch Pflanzen sind ebenso vielfältig wie die pflanzlichen Giftstoffe. Sie können alle Gewebe und Funktionen des Organismus betreffen und sowohl akut zum Tod führen als auch chronisch schädigen. Eine direkte Schädigung der Leber durch Pflanzeninhaltsstoffe hat besonders schwerwiegende Folgen. Sie verursacht Einschränkungen bei Metabolisierung, Entgiftung exogener und endogener Schadstoffe und Synthese lebensnotwendiger Substanzen und schädigt dadurch den ganzen Organismus.
Lebertoxisch ist z.B. das Pyrrolizidinalkaloid-haltige Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea; JKK), das auch vielen Tierhaltern bekannt ist. Wie die Pflanze jedoch ohne Blüte zu erkennen ist und wie man sie an der Verbreitung hindert, weiß kaum jemand. Auch die Diterpene der Zypressenwolfsmilch (Euphorbium cyparissias) schädigen die Leber direkt.
Chronische Belastung durch Colchicin aus Samen und Blättern der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) stört durch Mitosehemmung generell die Regeneration von Zellen, was sich in der Leber als besonders schwerwiegend erweist. Adlerfarn (Pteridium aquilinum) und Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre) schädigen u.a. durch Thiamin zerstörende Substanzen. Thiamin (Vitamin B1) fungiert insbesondere als Cofaktor von Enzymen, die an der Energiegewinnung beteiligt sind. Energiemangel schränkt die Leber in ihren Funktionen drastisch ein.
Leberassoziierte Hautschäden durch Giftpflanzen (s. Abb. 5)
Hautveränderungen werden selten mit Leberschädigungen in Verbindung gebracht, obwohl diese bei JKK und bei zahlreichen anderen leberschädigenden Giftpflanzen häufig auftreten. So führt z.B. das Protoanemonin aus frischen Hahnenfußgewächsen (v.a. Scharfer Hahnenfuß, Gifthahnenfuß) nicht nur zu eine Kontaktdermatitis, sondern es kann durch seine Hepatotoxizität auch eine Fotosensibilisierung auslösen.
Tierartliche und individuelle Unterschiede
In der Literatur werden für die einzelnen Tierarten z.T. sehr unterschiedliche letale Dosen bei Giftpflanzen angegeben. In Bezug auf das Einzeltier spielen bei Vergiftungen jedoch viele weitere Faktoren eine Rolle. Belastungen durch sozialen Stress, Hitzestress, Höchstleistung (Milch, Fleisch, Reproduktion), Lebensalter, Parasitenbefall, Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementmangel, Pilzbefall des Futters, leberbelastende Medikationen, Umweltchemikalien und vieles mehr können die Resistenz gegenüber Pflanzengiften herabsetzen.
Therapeutische Maßnahmen
Insbesondere in der Hobby-Tierhaltung sollte bei schlechtem Ernährungszustand, struppigem Fell, unvollständigem Fellwechsel, schlechter Huf- und Klauenhornqualität, Rötung und Schwellung der wenig pigmentierten Haut nach Sonnenexposition an die Möglichkeit einer Schädigung durch Giftpflanzen auf der Weide und im Heu gedacht werden. Neben der Bestimmung der Leberwerte gibt hier die sachkundige Begehung der Weideflächen und der zur Heugewinnung genutzten Wiesen Aufschluss. Diese ist für eine erfolgreiche Lebertherapie unumgänglich, denn deren wichtigste Maßnahme ist die Eliminierung der Noxe.
Weiterführende Literatur:
www.clinitox.ch / www.giftpflanzen.ch
Provenza F. Nourishment – What animals can teach us about rediscovering our nutritional wisdom. Chelsea Green Publishing, White River Junktion, Vermont London UK, 2018
Abb. 1: Die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) ist eine ausdauerndeKnollenpflanze mit breitlanzettlichen Blättern von 25-40 cm Länge, die im Frühjahr mit einer zentralen Fruchtkapsel erscheinen, in der bis Mai/Juni – pünktlich zur ersten Mahd - die Samen reifen.
Foto: Ferdinand Worm
Abb. 2: Über Sommer verdorrt die Herbstzeitlose. Mit den ersten Nachtfrösten im September/Oktober erscheint ihre krokusähnliche rosa Blüte
Foto: Ferdinand Worm
Abb. 3: Die Zypressenwolfsmilch (Euphorbium cyparissias) profitiert von trocken-heißen Sommern und breitet sich als typische Ruderalpflanze auf verdichtetem, vegetationsfreiem Boden aus. Alle milchsaftführenden Pflanzenteile sind stark giftig
Foto: Ferdinand Worm
Abb. 4: Die Rosette des Jakobskreuzkrauts (Senecio jacobaea)
Foto: Ferdinand Worm
Abb. 5: Fotodermatitis auf dem Nasenrücken als Folge einer v.a. durch JKK auf der Weide und im Heu ausgelösten Leberschädigung. Außerdem Kontaktdermatitis zwischen den Nüstern durch lokal schädigende Pflanzen wie Zypressenwolfsmilch und Scharfer Hahnenfuß.
Foto: Ferdinand Worm