Phytoterapie bei Atemwegserkrankungen
Atemwegserkrankungen gehören nach den muskuloskelettalen Erkrankungen zu den häufigsten Problemen der Pferde. Dabei handelt es sich i.d.R. um ein multifaktorielles Geschehen, bei dessen Vorbeuge und Therapie Arzneipflanzen von je her eine große Rolle spielen. In Form von Hustenpulvern, Hustensäften, Einreibungen und Dampfbädern werden Arzneipflanzen seit Jahrhunderten als traditionelle Hausmittel bei Atemwegserkrankungen angewendet. Den Tierärzten stand bis zur Markteinführung der Antibiotika eine Vielzahl von Arzneimitteln auf Pflanzenbasis für die Therapie von Atemwegserkrankungen zur Verfügung. Während diese fast alle vom tiermedizinischen Markt verschwunden sind, ist das Angebot an pflanzlichen Ergänzungsfuttermitteln zur Unterstützung der Atemwege stetig gewachsen und findet großes Interesse bei Tierbesitzern.
Einsatzschwerpunkte von Arzneipflanzen im Bereich der Atemwege:
- Virusinfektionen
- Reizung durch Staub (transportiert Viren, Bakterien, Pollen, Pilzsporen)
- Reizung durch Schadgase (Ammoniak, Kohlendioxyd, Schwefelwasserstoff)
- bakterielle und mykotische Infektionen (adjuvant)
- belastende, Krankheit begünstigende Situationen wie Stress und fremdes Keimspektrum durch Stallwechsel, Turnier etc., nasskalte Witterung (präventiv)
- rezidivierende und chronische Atemwegsinfektionen, insbesondere Sinusitiden
- hyperreaktive und allergische Reaktionen der Atemwege auf Schimmelpilzsporen, Futtermilben, Pollen u.a.
Wirkungen von Arzneipflanzen auf die Atemwege:
- bessere Durchblutung der Schleimhäute
- Mukolyse, Sekretolyse
- Aktivierung des Flimmerepithels, dadurch Unterstützung der Expektoration
- Spasmolyse der Bronchialmuskulatur, dadurch bessere Belüftung und Sauerstoffversorgung des Organismus
- Befeuchten von trockenen Schleimhäuten (Reizlinderung)
- antimikrobielle Wirkungen
- Entzündungshemmung
- Stärkung des Immunsystems
Pflanzliche Atemwegstherapeutika lindern nicht nur Symptome, sondern unterstützen die natürlichen Barriere- und Selbstheilungsfunktionen im Respirationstrakt. Eine wichtige Rolle spielen hier die pflanzlichen Expektorantia. Für diese liegen selbst bei schweren Atemwegserkrankungen wie der chronisch obstruktiven Bronchitis (COB) des Pferdes viele positive Praxiserfahrungen vor.
Expektorantia
Zu den Expektorantia gehören Pflanzen mit ätherischen Ölen wie Thymian, Eukalyptus oder Latschenkiefer sowie Arzneipflanzen mit Saponinen. Saponin-haltig sind insbesondere Efeu, Rosskastanie und Süßholz.
Saponine verflüssigen durch Aufbrechen der Quervernetzung der Schleimmoleküle zähen Schleim in den Atemwegen und entziehen dadurch pathogenen Bakterien ihren Nährboden. Mit der Verflüssigung des zähen Schleimes ist auch das Flimmerepithel wieder einsatzfähig. Die Selbstreinigung und der Gasaustausch funktionieren wieder. Saponine wirken jedoch nicht nur mukolytisch, sondern auch bronchospasmolytisch, sekretolytisch und sekretomotorisch. Sie steigern durch lokale Reizung der Bronchialschleimhaut und reflektorisch über die Magenschleimhaut die Schleimsekretion durch Erhöhung des Wassergehaltes im Schleim. Außerdem beschleunigen sie durch Anregung des Flimmerepithels den Abtransport des Schleims samt der darin enthaltenen Schadstoffe Richtung Mundhöhle.
Ätherische Öle wirken ebenfalls bronchospasmolytisch, sekretolytisch und sekretomotorisch. Beide Wirkstoffgruppen induzieren die Bildung von Surfactants (surface aktive agent), Oberflächenspannung reduzierende Sekrete der Pneumozyten, die das Verkleben von Schleimmolekülen zu Plaques verhindern und dadurch hustenreizlindernd wirken. Surfactants unterstützen zudem die Infektabwehr durch Anregen der Phagozytose.
Biofilmwirksamkeit
Für das ätherische Öl des Thymians und das Saponin-Gemisch des Efeus ist zudem belegt, dass sie der Biofilmbildung von pathogenen Erregern entgegenwirken. Die Fähigkeit zur Biofilmbildung gehört zu den effektivsten Pathogenitätsfaktoren von Erregern. Biofilm schützt Bakterien vor dem Zugriff von Immunzellen und Antibiotika.
Antimikrobielle Effekte
Ätherische Öle wie das des Thymians interagieren schon in minimalen Konzentrationen mit den Zellmembranen und beeinflussen dort Enzyme, Carriersysteme, Ionenkanäle und Rezeptoren. Auf diesen Eigenschaften beruht ihr antimikrobieller Effekt.
Traditionell werden Arzneipflanzen zur Therapie von Atemwegserkrankungen kombiniert, um eine komplexere Wirkung zu erzielen. Die Kombination von Thymian und Efeu (EquiPulmin® liquid) bewährt sich seit Jahrzehnten.
Aktuelle Erkenntnisse zur traditionellen Bitterstoffanwendung
Mit der Entdeckung von Rezeptoren für Bitterstoffe in nahezu allen Bereichen des Organismus konnten in den letzten Jahren wissenschaftliche Belege für die Sinnhaftigkeit traditioneller Bitterstoffanwendung bei Atemwegserkrankungen (PlantaPulmin® basic) erbracht werden. Es gibt erste Erklärungsansätze, was Bitterstoffe in den Atemwegen bewirken:
In den Nasenhöhlen und Nasennebenhöhlen des Menschen kommt es durch bittere Signalmoleküle (Signal zur Biofilmbildung) von Pseudomonas aeruginosa und anderen gramnegativen Bakterien zur Aktivierung eines speziellen Bitterstoffrezeptors (T2R38). Die Rezeptor-Aktivierung führt u.a. zur Stickstoffmonoxid (NO)-Produktion. NO wirkt blutgefäßerweiternd, stimuliert die mukoziliäre Clearance und hat als reaktive Stickstoffspezies direkte antibakterielle Effekte. Studien belegen, dass Patienten mit Defiziten bei der Exprimierung des Bitterstoffrezeptors T2R38 für chronische Rhinosinusitis besonders empfänglich sind. Sie sind zudem häufiger von schweren Krankheitsverläufen und pathogener Biofilmbildung betroffen.
Im Bereich der Lunge führen Bitterstoffe zur Aktivierung der Zilien (verbesserte mukoziliären Clearance) und zur Bronchospasmolyse.
Fazit
Arzneipflanzen bieten mit ihrem breiten Wirkspektrum umfangreiche Möglichkeiten zur Therapie und Prophylaxe von Atemwegserkrankungen. Wird ihr Potential ausgeschöpft, kann auch bei Infektionen der Atemwege auf eine Antibiose vielfach verzichtet werden.
Literatur:
Brendieck-Worm C, Melzig MF. Phytotherapie in der Tiermedizin. 2. Aufl., Thieme-Verlag 2020
Jeruzal-Swiatecka J, Fendler W, Pietruszewska W. Clinical role of extraoral bitter taste receptors. Int J Mol Sci. 2020; 21(14): 5156